Die heteronormativ-geprägte Gesellschaft lebt Jugendlichen heutzutage vor, wie Männer und Frauen zu sein haben. Auch das lange gelebte binäre System (weiblich oder männlich) kann in der heutigen Gesellschaft nicht mehr funktionieren. Leider sind auch heute noch viele diverse Lebensentwürfe unsichtbar. Somit kann auch keine Sensibilisierung für das Thema LSBTIQ* geschehen und Jugendliche aus dem LSBTIQ*-Spektrum haben keine Vorbildfigur, an der sie sich orientieren können. [1]
Selbst in der Politik war es lange nicht möglich für gleichgeschlechtliche Paare zu heiraten, sie konnten nur eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen und fühlten sich somit als Menschen zweiter Klasse.
Diskriminierungen sind in der Gesellschaft weit verbreitet. Dies bekommen Menschen aus dem LSBTIQ*-Spektrum fast tagtäglich zu spüren. Es beginnt schon mit der Frage, ob man derzeit eine_n Partner_in hat. Der Hauptteil der Gesellschaft meint damit einen gegengeschlechtlichen Partner („Heterosexuelle Vorannahmen“). Wenn auf diese Frage geantwortet wird, und die befragte Person eine Verbesserung der Wortwahl nutzt, ist man sofort geoutet. Da die Diskriminierungen und Vorurteile tief sitzen (Eisberg-Modell[2]) und die Befragten sich in manchen Bereichen ihres Lebens selbst schützen wollen, verheimlichen sie oftmals ihre sexuelle Orientierung, um Diskriminierungen aus dem Weg zu gehen.
Jugendliche, die bemerken, dass sie möglicherweise eine nicht-heterosexuelle Orientierung oder eine nicht-cisgeschlechtliche Zugehörigkeit haben, haben in ihrer Adoleszenzphase eine doppelte Belastung. In dieser Phase entsteht ein erhöhter „Bedarf an Aufklärung und Informationen über Themen wie körperliche Entwicklung, Perspektive, Moral, Ethik, Liebe, Partnerschaft usw.“[3] Jugendliche sind häufig durch fehlende bzw. unsichtbare LSBTIQ*-Vorbilder in ihrer Gefühlsverwirrung allein gelassen, was in der Pubertät zusätzlichen Stress bedeutet.
Wir leben nun in einer Welt, in der es für Kinder und Jugendliche einfach ist, sich durch das Internet Informationen zu beschaffen. Im Internet und anderen Medien gibt es einen sehr freizügigen Umgang mit Sexualität. Dies kann bei Jugendlichen auch zu Verwirrung, aber auch Überforderung kommen, denn die Informationen, die Kinder und Jugendliche bekommen sind nicht immer seriöse Aufklärung. Jugendlichen können heimlich im Internet recherchieren und sich mit dem Thema auseinandersetzen, aber nicht immer gelingt die Differenzierung von den erhaltenen Informationen. Dementsprechend können bei Recherchen die Internetseiten schnell verunsichern, weil diese sehr sexistisch dargestellt werden und abschreckend wirken.
Fachkräfte, aber auch ehrenamtlich Tätige, in der Jugendarbeit müssen sich ihrer Stellung bewusst sein und haben eine „zentrale Funktion als Wissensvermittler, Identifikationsfigur und Vertrauensperson“[4].
Laut der Befragung von Krell und Oldemeyer 2017 in ihrer Studie „Coming-out- und dann…?!“ nutzen 25,3 % der Jugendlichen eine Jugendgruppe mit LSBTIQ* Bezug [5]. Aber andersherum nutzen queere Jugendliche dieses Angebot nicht, weil es solche Angebote nicht in ihrer Nähe gibt (29 %) oder sie sich unsicher sind, was sie dort erwartet (34 %), oder sogar Angst haben, gesehen zu werden (15 %). [6]
Wir, von der Queeren Jugend Niedersachsen konnten dabei sein, wie in den letzten Jahren neue queere Jugendgruppen entstanden und dies auch in den ländlichen Gebieten. Das ist natürlich vom Vorteil für Jugendliche, die ländlich wohnen und keine Möglichkeit haben, größere Städte zu erreichen.
In der Zukunft soll das Landesnetzwerk Queere Jugend Niedersachsen ein fester Bestandteil der Jugendarbeit für queere Jugendliche sein und sie fachlich, sozialpädagogisch und entwicklungsfördernd begleiten.
Außerdem sollen Fachkräfte, die mit Jugendlichen arbeiten, mit Informationen, Beratungsangeboten und Qualifizierungsangeboten über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt sensibilisiert, aufgeklärt und qualifiziert werden.
Literatur
[1] Heteronormativität ist eng verbunden mit dem Namen Judith Butler 1991 erschien im deutschsprachigen Raum ihr Werk „Das Unbehagen der Geschlechter“ (Originaltitel: Gendertrouble, erschienen 1990)
[2] Sigmund Freud (1856-1939) beschrieb in seinem Eisberg-Modell, dass der sichtbare Teil des Eisbergs mit etwa 20 % die bewussten Entscheidungen, wie Handlungsweisen, Körpersprache und Verhalten, liegen und in den restlichen 80 % unter der Wasseroberfläche unbewusste Erfahrungen, Ängste, Triebe, Persönlichkeitsmerkmale und kulturelle Elemente mit einfließen.
[3] Sexualpädagogische Kompetenz 2003: S. 131
[4] Sexualpädagogische Kompetenz 2003: S. 131
[5] Vgl. Coming-out - und dann…?! 2017: S. 203
[6] Vgl. Coming-out - und dann…?! 2017: S. 205